Julius Schittenhelm, August 2008
Julius Schittenhelm, Sänger, Liederschreiber, Kunsthandwerker, Objekte-Gestalter und -Designer, geboren 1926, also jetzt 84, betrachtet unsere Welt mit den Sinnen eines Naturwissenschaftlers.
...1947 begann ich in München Chemie zu studieren und finanzierte das anfänglich durch Schwerarbeit als Schaufler in Fäkalkanälen. Ein Studien-kollege brachte mich auf die Idee, Gitarre spielen zu lernen und so zu leichterem Geldverdienen zu kommen.
Ich kaufte mir also eine Wandergitarre beim Trödler und brachte mir die ersten Akkorde selbst bei. Nach vielen Übungs- und einigen Unterrichtsstunden bekam ich im Herbst 1951 als Rhythmusgitarrist im Trio mit einem Akkordionisten und einem Bassisten ein festes Engagement im Pfälzer Hof in Schwabing.
Dort wurden das Trio zur Begleitband von Gisela Jonas, der Schwabinger Gisela, mit der es einige Monate später in ihren eigenen Laden Gisela, um‘s Eck in der Occamstrasse, umzog. Später spielte das Trio in anderen Schwabinger Studentenkneipen (Nachteule, Käuzchen).
So um 1955 brachte mich meine damalige Freundin, eine Kunststudentin, dazu, anstatt als Musiker zu tingeln, mit kunsthandwerklichen Arbeiten anzufangen und mit Kupferschmieden und geschweissten Objekten mein Geld zu verdienen. 1961 baute ich in einem Schwabinger Hinterhof eine eigene Werkstatt auf fremdem Grund mit 20jährigem Pachtvertrag.
Die Freundschaft endete. Ich machte auch wieder Musik als Rhythmusgitarrist in wechselnden Besetzungen in amerikanischen Officerclubs, Hotelbars, Nachtlokalen und dergleichen. Das Chemiestudium hängte ich kurz vor dem Diplom an einen Lufthaken, wo es hängen blieb.
v.l. Dieter Henneberg, Heinz Mühl, Julius Schittenhelm, Joe Kienemann
im Café Neckermann, München 1963
Gier unter Doppelsonnen
München - Schwabinger Sieben ca 1964
Im Jahre 1966 schrieb ich die ersten eigenen Lieder und trug sie gemeinsam
mit meiner Frau Doris in dem Szene-Lokal Song Parnass mit einigem Erfolg vor. Viele
Stücke
aus dieser Zeit sind immer noch im Repertoire (Mondviecher, Drei Orchideen, Liebeslied der Mutanten). Das Vollprogram Popornopolitophonie führte
in den Jahren 1968 und 1969 Die Schittenhelms auf
Tourneen durch Deutschland, Österreich, die Schweiz. Auch hatten wir
mehrere Auftritte im Bayrischen Rundfunk und im 3. Fernsehprogramm.
Ende 1969, nach der Rückkunft von einem vierteljährigen Aufenthalt
als Tonmeister in New York, hatten die politischen Songs des Programms durch
den Regierungswechsel zur sozial-liberalen Koalition ihre Grundlagen verloren.
Julius und Doris Schittenhelm (ca 1967)
Die Ehe mit Doris ging auseinander. Ich arbeitete, neben dem Kunsthandwerk, 1970 ein Jahr lang als Auftrags-Produzent und Tonmeister für Metronome-OHR (Embryo: Opal, Guru Guru: Ufo, Paul & Limpe Fuchs: Stürmischer Himmel, Amon Düül 1: Paradieswärts Düül, Annexus Quam: Osmose, Floh de Cologne: Profitgeier). 1971 lief ausser ein paar kleineren Produktionen die der LP Spring der Gruppe Life für CBS.
1972 lernte ich Sonja, Mathematikerin und Informatikerin, kennen und lieben. Bis 1976 wurde die Werkstatt die Lebensgrundlage. Es wurden Dekorationen für China-Lokale und Filmfirmen, Plexiglastische und -Lampen, Eisentore gebaut, gebogen, geschweisst. Nebenher entstanden Song-Texte wie Aristoteles oder Müllmutanten.Julius Schittenhelm (ca 1978)
... klingt stellenweise wie ein durchgeknallter professor auf acid, der sich beim besuch eines monk-konzertes urplötzlich im hörsaal wähnt und lauthals losdoziert.
yulyus golombeck, musiker (2000)
Julius Schittenhelm in der Galerie Klaus Lea, München, 29.04.2004
Ganz nebenbei habe auch noch mit dem Malen angefangen: ich koloriere die vom Umbau des Hauses übrig gebliebenen Balkenenden mit starken Akrylfarben. Die blocks sind irgendwo auf dieser website zu finden.
Die im Jahr 2000 begonnene Autobiografie Ich bin kein Volk ist mittlerweile erschienen und im Handel erhältlich. Geplant ist eine Sammlung der Liedertexte und weiterer Gedichte.
Am 28. Oktober 2012 starb Julius Schittenhelm an kombiniertem Herz-Lungen-Kreislauf-Versagen.